Am letzten Wochenende war es mal wieder soweit: Ich packte meine Tasche und machte mich auf den Weg ins Münsterland, in die Nachbarschaft der Wildpferde. Wie heißt es so schön: Fortbildung ist nicht alles, aber ohne Fortbildung ist alles nichts (okay, ich schmeiße einen Euro in das Phrasenschwein).

Bei schönstem Wetter und mit gemischten Gefühlen fuhr ich zum Kurs, der mir hoffentlich das Longierabzeichen bescherte. Ja, mit gemischten Gefühlen, denn ich wusste im Voraus, dass dort das Longieren mit Hilfszügeln erwartet wurde. Und von solchen Problem-Wegwischern halte ich grundsätzlich nichts. Jetzt wird sich der eine oder andere Leser fragen, warum ich überhaupt dort hin gefahren bin. Der Longierkurs gehört zum Pflichtprogramm meiner Ausbildung zur Pferdephysiotherapeutin. Also war mein Motto zunächst: „Augen zu und durch.“ Oder: „Wat mutt, dat mutt“ (zweiter Euro für das Phrasenschwein).

Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst und sah vor meinem inneren Auge bereits zusammen geschnürte Pferde. So schlimm konnte es nun nicht werden, immerhin geht es darum, muskuläre Probleme beim Pferd zu beheben und nicht zu fördern.

Zum Glück ging es mit der Theorie los. Wir begutachteten mein Hassobjekt Hilfszügel ohne Pferd. Ich frage mich heute noch, wer sich diese abenteuerlichen Riemen und Schnüre ausgedacht hat.

Damit ihr wisst, von welchen Hilfszügeln ich spreche, hier ein kleiner Überblick der museumsreifen Klassiker:

Der Halsverlängerer: Er trainiert die Unterhalsmuskulatur und ist der Standard-Hilfszügel meiner Jugendzeit. Da er aus einem Gummiband besteht, lädt er das Pferd dazu ein, gegen den entstehenden Druck anzugehen.

Die Ausbinder: Sie zwingen das Pferd in eine starre Hals- und Kopfposition. Durch die Gummiringe laden auch sie zum Ziehen gegen den Druck ein.

Der Stoßzügel: So unnötig wie ein Kropf (äh, wie alle anderen Hilfszügel; ein weiterer Euro für das Phrasenschwein). Er ist die einfache Ausführung des Ausbinders. Jedes Anheben des Kopfes wird mit einem schmerzhaften Druck auf den Laden des Unterkiefers quittiert, da sich das Gebiss wie ein Nussknacker zusammen zieht.

Der HO-Hilfszügel: Kommt harmlos daher, ist er aber leider nicht. Er besteht aus einem rund geflochtenem Baumwollseil, wird über den Widerrist gelegt, zwischen den Vorderbeinen durch geführt und schließlich an den Gebissringen befestigt. Nimmt das Pferd nun den Kopf nach unten oder nach vorne, schneidet der HO-Hilfszügel hinter dem Schulterblatt ein.

Dann gibt es noch weitere Hilfszügel wie zum Beispiel Chambon oder Goque. Bei beiden sind Umlenkrollen integriert, die die Kraft verstärken und dadurch sehr scharf einwirken.

Glücklicherweise kamen im Kurs keine dieser Hilfszügel zum Einsatz, ich konnte ein wenig aufatmen. Denn sie schaden, indem sie Muskelpartien trainieren die das Pferd nicht braucht, um sich gesund vorwärts zu bewegen, denken wir zum Beispiel an den Unterhals. Verspannungen sind nach der Verwendung vorprogrammiert. Mal abgesehen vom körperlichen Druck entsteht bei der Verwendung psychischer Stress. Keine guten Voraussetzungen für eine harmonische Mensch-Pferd-Beziehung.

Ein Zwischenfazit: Alle Hilfszügel, die ein Pferd in eine bestimmte Position zwingen und seelischen Druck ausüben, gehören in den Restmüll!

Nach der Theorie begann der praktische Teil des Kurses. Soweit, so gut. Zunächst ging es an die Wahl der „richtigen“ Hilfszügel. Zur Wahl standen der Laufferzügel und der Dreieckszügel. Der Laufferzügel wird seitlich am Pferd verschnallt. Er verläuft vom Longiergurt durch die Gebissringe zurück zum Longiergurt und bietet ein Mindestmaß an Bewegungsfreiheit. Außerdem konnten wir uns für den klassischen Dreieckszügel entscheiden. Bei mir fiel die Wahl zunächst auf den Laufferzügel, den ich verstohlen noch ein paar Löcher weiter machte. Für mein Gewissen.

Doch über dem Wochenende schwebte die zentrale Frage: Wozu braucht man Hilfszügel? Ich longiere mein Pferd ausschließlich mit Kappzaum und wir sind sehr glücklich damit. Sie lernt eine freie, entspannte Dehnungshaltung ohne eingeschnürt zu sein. Im Nachhinein kann ich eine Antwort auf diese Frage geben: Richtig eingesetzt simuliert der Hilfszügel den normalen Zügel. Ziel ist es, dass sich das Pferd auch an der Longe an den Hilfszügel herandehnt. Wie so oft gibt es ein Aber: Kein Hilfszügel der Welt kann eine weiche und nachgiebige Reiterhand ersetzen! Ist das Pferd noch nicht ausbalanciert oder sehr empfindlich im Maul, wird dem Pferd erheblicher Schaden zugefügt. Gerade junge Pferde verwenden ihren Hals als Balancierstange. Ein Hilfszügel verhindert die freie Bewegung des Halses in alle Richtungen. Zudem wird der Hilfszügel oft dazu missbraucht, eine korrekte Haltung vorzutäuschen. Doch eine augenscheinlich korrekte Haltung ist noch lange keine gesunde Haltung. Meiner Meinung nach muss jedes Pferd die Möglichkeit haben, aus freien Stücken und mit Geduld in eine gesunde Haltung zu finden. Hilfszügel dürfen die Haltung des Pferdes nicht erzwingen, wenn überhaupt müssen sie sie fördern!

Die Reaktionen der Kurs-Pferde waren sehr unterschiedlich: Einige dehnten sich ohne zu Zögern an die lang genug verschnallten Hilfszügel heran. Das waren vor allem Pferde, die in ihrer Ausbildung sehr weit fortgeschritten waren. Sie befanden sich im körperlichen Gleichgewicht und reagierten zwar fein, aber nicht überempfindlich auf den Zügel. Anderen Pferden merkte man Unbehagen an. Sie suchten Kopfpositionen, mit denen sie dem Druck ausweichen konnten. Merke: ein Pferd muss genügend ausbalanciert und eine stetige Zügelverbindung gelernt haben, bevor man daran denkt, einen Hilfszügel einzusetzen. Und auch dem Longenführer wird einiges abverlangt: Er ist für eine korrekte und faire Verschnallung verantwortlich und muss durch seine Hilfengebung für eine angenehme Verbindung sorgen. Daher ist das Longieren nicht zu unterschätzen.

Wir besprachen im Kurs außerdem die unterschiedlichen Möglichkeiten, mit denen man die Longe am Gebiss befestigen kann. Was man nicht alles lernen kann… Auch von dieser Form des Longierens bin ich kein Freund. An der Longe kann es immer mal wieder vorkommen, dass das Pferd vor lauter Übermut losspringt. Ist die Longe am Gebiss befestigt, gibt das jedes Mal einen schmerzhaften Ruck im Maul. Aber auch hier gibt es Varianten:

  1. Die Longe durch beide Gebissringe führen und am äußeren Gebissring einhaken:  Kommt nun Zug auf die Longe, ziehen sich die einzelnen Elemente des Gebisses zusammen, es kommt zu einem unangenehmen Nussknackereffekt.
  2. Die Longe am inneren Gebissring einhaken: Drängt das Pferd nach außen, zieht sich das Gebiss durch das Pferdemaul. Auch nicht schön…
  3. Die Longe durch den inneren Gebissring führen und am Backenstück des Reithalfters verschnallen: Die wohl schonendste Möglichkeit, wenn man schon mit Gebiss longieren muss.

Auch, wenn das Thema Hilfszügel für mich an diesem Wochenende eine zentrale Rolle spielte, konnte ich einiges über eine gesunde Fortbewegung lernen. Manchmal muss man sich auch mit Dingen auseinander setzen, die man ablehnt. Mein persönlicher Weg, mit Pferden zu arbeiten, hat sich gefestigt und ich kann nun sachlich in Worte fassen, warum ich ein Gegner von Hilfszügeln bin.

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