Mein letztes Wochenende stand ganz im Zeichen der Stresspunktmassage für Pferde. Zum wiederholten Male hat es mich ins Münsterland verschlagen, genauer gesagt nach Dülmen. In die Heimat der Wildpferde. Mehr Pferd geht nicht.
Es waren zwei inspirierende und lehrreiche Tage bei schönstem Herbstwetter. Der Kurs lebte letztendlich auch durch seinen Dozenten, der wiederrum seit mehreren Jahrzehnten für die Pferde lebt. Doch nun zum eigentlichen Thema, der Stresspunktmassage nach Jack Meagher.
Was ist Stresspunktmassage?
Die Stresspunktmassage ist eine effektive Tiefenmassage in der Physiotherapie und findet, wie der Name schon sagt, durch die Untersuchung und Behandlung bestimmter Punkte am Pferdekörper statt. Die Stresspunkte liegen dort, wo die Sehne in die Muskulatur übergeht. Die Sehne wiederrum verbindet Muskel und Knochen.
Um herauszufinden, welche Muskulatur schmerzhaft verspannt ist, werden zunächst die unterschiedlichen Stresspunkte abgetastet. Reagiert das Pferd an einem Punkt schmerzhaft, ist dies ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der zugehörige Muskel verspannt ist. Die Reaktionen des Pferdes reichen von einem unscheinbaren Hautzucken bis hin zu regelrechten emotionalen, schmerzbedingten Ausbrüchen. Da die Muskulatur im Pferdekörper ein komplexes und miteinander verbundenes System ist, kommt es vor, dass bei einer positiven Reaktion auf einen Schmerzpunkt nicht nur direkt verbundene, sondern auch die indirekt verbundene Muskulatur betroffen ist.
Die Stresspunktmassage dient dazu, verkrampfte Muskulatur zu lockern und dadurch entstandene Schmerzen zu lindern. Nach der Behandlung wirken viele Pferde wie befreit, ihre Bewegung ist deutlich lockerer und raumgreifender.
Durchgeführt wird diese spezielle Form der Massage durch verschiedene Techniken. Die Stresspunkte können mit beständigem oder rhythmischem Drücken behandelt werden. Zusätzlich kann die Muskulatur durch eine Massagebewegung quer zum Muskelfaserverlauf gelockert werden. Welche Technik angewendet wird, hängt ganz von der Lage der Muskulatur ab. Direkt über knöchernen Strukturen wäre eine Massagebewegung quer zum Muskelverlauf sehr schmerzhaft.
Warum ist die Stresspunktmassage so effektiv?
Hat von euch schon einmal jemand sein Pferd massiert, um ihm Entspannung zu bieten? Dann werdet ihr sicherlich gemerkt haben, wie anstrengend das ist. Durch das gezielte Überprüfen der Stresspunkte bekommt der Physiotherapeut eine gute Übersicht, welche Muskelpartien verspannt sind. Anschließend kann man diese gezielt behandeln und Schmerzen reduzieren.
Die Muskulatur des Pferdes ist ein tiefgehendes System. Egal, wie sehr wir Menschen uns bemühen, wir werden es nie schaffen, bis zu den untersten Muskelschichten durchzudringen. Denn dafür müssten wir die Grundspannung, die jedes Lebewesen hat, aus dem Pferd nehmen können. Bei uns Menschen geht das einfach: Wir legen uns auf eine Massageliege und schon ist die Haltefunktion, die uns aufrecht stehen lässt, entspannt. Aber ein Pferd kann man zu Behandlung nicht hinlegen. Durch die Behandlung der Stresspunkte werden verklebte und verkrampfte Muskelstränge gelockert und gestreckt. Die Muskulatur wird besser durchblutet, der Stoffwechsel wird angeregt. Auch, wenn es wissenschaftlich noch nicht belegt ist gehen Experten davon aus, dass durch Massage Endorphine freigesetzt werden. Und Endorphine machen nicht nur glücklich, sie wirken auch schmerzlindernd.
Rezeptoren in der Sehne (Golgi-Sehnenkörper) haben die Aufgabe zu reagieren, wenn ein Muskel zu stark belastet wird. Über Nervenreize können sie daraufhin die Arbeit der Muskulatur einstellen, es kommt zu einer Muskelverspannung. Übt der Physiotherapeut nun Druck auf die Sehne aus, erzeugt er durch einen Reflex im Pferdekörper für eine prompte Entspannung des Muskels.
Fehler im Bewegungsablauf des Pferdes erkennen – Ursachen beheben
Jeder Reiter kennt sie, Aussagen wie „Mein Pferd lässt sich nicht biegen!“. Oder: „Die Hinterhand tritt einfach nicht weit genug unter.“
Nicht immer steckt Unwille hinter diesem Verhalten. Eine Ursache für diese Fehler im Bewegungsablauf kann auch in der Muskulatur liegen. Von der Art des Bewegungsfehlers kann man auf die betroffene Muskelpartien schließen.
Nachfolgend habe ich verschiedene Fehlhaltungen und die betroffene Muskulatur für euch zusammen gefasst:
- Zügel aus der Hand reißen und ein Verwerfen im Genick: deutet auf eine Verspannung des seitlichen Kopfmuskels (M. rectus capitis lateralis) hin, dieser verläuft direkt hinter dem Genick, über dem ersten Halswirbel (Atlas). Durch eine angestrengte Kopfhaltung beim Dressurreiten oder Fahren kann die Verspannung unter anderem entstehen. Regelmäßige Pausen in freier Haltung verschaffen Abhilfe.
- Wendungen können nicht gut ausgeführt werden: Verspannung des Arm-Kopf-Muskels (M.brachiocephalicus), auch bekannt als die Unterhalsmuskulatur. Pferde, die gelernt haben, den Rücken aufzuwölben und den Hals fallen zu lassen, werden selten an dieser Verspannung leiden. Läuft das Pferd hingegen hauptsächlich mit durchgedrücktem Rücken, ist dieser Muskel von Verspannungen betroffen.
- Das Pferd lässt sich nur schwer stellen: In diesem Fall ist die Verspannung auf der gegenüberliegenden Seite zu suchen. Als Beispiel: Das Pferd lässt sich nur schwer oder gar nicht nach rechts stellen. In diesem Fall ist die Verspannung auf der linken Halsseite zu suchen, genauer gesagt im vielästigen Muskel des Halses (M. multifidus cervicis). Er verläuft genau mittig über den Hals, parallel zum Mähnenkamm. Lockernde Übungen vom Boden, also das Stellen des Kopfes in beide Richtungen, führen zu einer Lockerung des Genicks und der für die Bewegung zuständigen Muskeln.
- Die Vorhand hat nur wenig Raumgriff: Für den Raumgriff der Vorhand ist der trapezförmige Muskel (M. Trapezius), der in einer dreieckigen Form direkt unter dem Widerrist verläuft, verantwortlich. Ist dieser Muskel verspannt, kann die Vorhand nicht weit nach vorne ausgeführt werden. Fällt es dem Pferd schwer, die Vorderbeine zu heben sollte ebenfalls die Unterhalsmuskulatur untersucht und gelockert werden. Denn auch sie ist für das Vorführen der Vorhand zuständig.
- Der Sattel rutscht zu einer Seite und das Pferd wirkt verkrampft, sobald der Sattelgurt angezogen ist: Anzeichen für eine Verspannung in der Rumpfmuskulatur, genauer gesagt im Sägemuskel (M. serratus ventralis thoracis). Dieser verläuft zum Teil unter der Sattel bzw. Gurtlage. Zeigt das Pferd diese Symptome, muss unbedingt schnell ein kompetenter Sattler zu Rate gezogen werden, der die Sattelpassform überprüft..
- Der Takt wird unrein, sobald das Tempo verstärkt wird und das Pferd scheint die Vorderbeine hängen zu lassen: Hier könnte der Oberarm-Muskel (M. triceps brachii) betroffen sein, dieser verläuft oberhalb der Vorderbeine. Besonders bei Spring- und Vielseitigkeitspferden wird dieser Muskel stark belastet, weshalb auf ein ausgleichendes Training Wert gelegt werden muss.
- Das Pferd hat Schwierigkeiten, den richtigen Galopp zu finden, es zeigt Kreuzgalopp: Auch hier spielt der Oberarm-Muskel (M. triceps brachii) eine entscheidende Rolle. Eine Entlastung der Vorhand durch angepasstes Training ist unerlässlich. Hierbei sollte vor allem die Hinterhand aktiviert werden, damit die Vorhand auch unter Reitergewicht entlastet wird.
- Der Rücken schwingt nicht mit: Verantwortlich für einen frei schwingenden und aufgewölbten Rücken ist die lange Rückenmuskulatur (M. longissimus dorsi). Ist die verspannt, kann das Pferd die Wirbelsäule nicht mehr aufwölben. Die Ursachen sind vielfältig. Sie reichen von einem schlecht sitzenden Sattel bis hin zu einem wenig ausbalancierten Reiter. Eine effektive Arbeit an der Doppellonge hilft dabei, die verspannte Muskulatur zu dehnen und zu lockern. Läuft das Pferd zum Beispiel auf der linken Hand und ist korrekt gestellt und gebogen, wird dabei die Rückenmuskulatur auf der rechten Seite gedehnt. Bei einer starken Verspannung sollte auf jeden Fall zunächst ein Tierarzt/Pferdephysiotherapeut hinzugezogen werden, damit die verspannte Muskulatur nicht schmerzhaft beansprucht wird!
- Eine Biegung ist nicht möglich: Auch hier spielt die Rückenmuskulatur eine nicht unentscheidende Rolle, in diesem Fall vor allem der Musculus longissimus costarum, der etwa eine Handbreit unter und parallel zur Wirbelsäule verläuft. Belastungen in diesem Bereich haben verschiedene Ursachen. Auf jeden Fall sollte der Sattel überprüft werden, ebenso wie der Reitersitz und die Aktivität der Hinterhand.
- Wenig Raumgriff in der Hinterhand: Ist das Pferd nicht in der Lage, mit der Hinterhand weit unter den Schwerpunkt zu treten, liegt das auch an der mangelnden Beweglichkeit der Hüfte. Eine Verspannung ist in einem Teil der Kruppenmuskulatur (M. gluteus medius/accesorius) zu suchen.
Bitte beachtet: Alle Tipps ersetzen keine Untersuchung durch einen Tierarzt! Die angesprochenen Übungen helfen, die verspannte Muskulatur neu aufzubauen. Allerdings sollte die im Vorfeld durch einen Physiotherapeuten behandelt werden. Nur weiche Muskelpartien können schmerzfrei beansprucht werden.
Ich stelle immer wieder fest, dass unsere Pferde ein komplexes System sind. Das gilt sowohl für ihren Körper als auch für ihre Seele. Je besser wir sie verstehen, desto näher werden sie uns. Ich freue mich auf weitere spannende und entspannte Wochenenden in Dülmen. Obwohl mein Pony aufgrund meiner mitgenommenen Motivation manchmal den Kopf schüttelt. Denn nur entspannte Pferde sind zufrieden und glücklich.