Was ist TCM und wie kannst Du Dein Pferd mit Hilfe der TCM einschätzen?
Traditionelle Chinesische Medizin ist mehr als Akupunktur. Und genau um dieses „mehr“ soll es in diesem Artikel gehen. Denn eigentlich ist die TCM eine eigene Philosophie oder Denkweise. Hier geht es zur Podcast-Folge:
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Die TCM ist eine Jahrtausende alte Wissenschaft. Und sie ist aus der genauen Beobachtungsgabe der Chinesen entstanden. Die alten Chinesen haben damals, während der Entstehung der TCM, sich und ihre Umwelt genau beobachtet und wiederkehrende Zusammenhänge festgestellt. So ist ihnen zum Beispiel aufgefallen, dass Sehnen immer wieder im Frühjahr schmerzen oder die Haut immer wieder im Herbst zu Problemen neigt. Durch diese genauen Beobachtungen entstanden die verschiedenen Denkmodelle der TCM.
Die Lehre der Fünf Wandlungsphasen zum Beispiel stellt u.a. die Zusammenhänge zwischen Jahreszeiten und erkrankten Körperteilen her. Das Denkmodell von Yin und Yang zeigt das Gleichgewicht oder Ungleichgewicht im Körper oder der Natur. Die Organuhr symbolisiert den Wandel der Energie im Laufe des Tages. Dies waren jetzt nur einige Beispiele, sie zeigen jedoch, wie vielschichtig die Betrachtung der TCM ist.
Interessant ist, dass das Grundkonzept der TCM seit Jahrtausenden überliefert wird und besteht. Anders, als z.B. in der Schulmedizin, bleiben Erkenntnisse bestehen. Somit ändern sich auch die verschiedenen Denkmodelle nicht mehr. Und dennoch wirkt die TCM.
Ganzheitlichkeit
Die Ganzheitlichkeit der TCM wird durch die fünf Säulen, auf denen die TCM basiert, widergespiegelt. So besteht eine komplette Behandlung aus dem Zusammenspiel von Akupunktur, verschiedenen Masssagetechniken, der Ernährung, der Kräutermedizin und der Bewegungstherapie. Und alles zielt darauf ab, den Energiefluss im Körper zu harmonisieren.
Vor kurzem habe ich einen Facebook-Beitrag veröffentlicht, in dem es darum ging, dass die fünf Wandlungsphasen wie Zahnräder ineinandergreifen. Fehlt es einem Zahnrad bzw. Element an Energie, so bremst es das gesamte System aus. Und dieses Zahnrad-Modell lässt sich auch gut auf die verschiedenen Behandlungssäulen der TCM übertragen: Eine Behandlung mit Akupunktur ist erst dann besonders wirkungsvoll, wenn wir uns auch die anderen genannten Bereiche anschauen und für das Pferd optimieren. Wenn wir zum Beispiel ein Pferd haben, das unter innerer Kälte leidet, dann können wir mit Hilfe der Akupunktur den Qi-Fluss stärken und somit auch innere Wärme erzeugen. Wenn wir aber gleichzeitig Futtermittel mit einer kühlenden Wirkung füttern, wie zum Beispiel Weizenkleie, dann dämpfen wir die Wirkung der Akupunktur.
Übrigens hat jedes Lebensmittel in der TCM eine eigene Wirkung. Es gibt kein Nahrungsmittel, dass nicht auf irgendeine Weise unsere Energien beeinflusst.
Wer mir schon länger folgt, der weiß, dass ich kein Freund der Obst- und Gemüsefütterung bei Pferden bin. Damit beziehe ich mich hauptsächlich auf die teils wahllose Fütterung von Äpfeln, Möhren und Co. Jedoch kann auch die Fütterung von genannten Äpfeln und Möhren aus Sicht der TCM durchaus Sinn machen. Aber dann in Maßen und zum richtigen Zeitpunkt gewählt.
Deshalb empfehle ich euch: Wenn euer Pferd mit einem Problem zu kämpfen hat, bezieht alle Faktoren, die auf das Pferd Einfluss nehmen, in eure Lösung mit ein.
Eigene Krankheitsbilder
Spannend finde ich auch die Tatsache, dass sich westliche Krankheitsbilder nicht 1:1 auf die TCM übertragen lassen. Die TCM hat eine völlig andere Auffassung von Krankheit als die Schulmedizin. So kann man also nicht davon ausgehen, dass jedes Pferd, das hustet, einen Lungen-Qi-Mangel hat. Oder, dass jedes Pferd, dass unter Kotwasser leidet, eine Disbalance im Funktionskreis der Milz hat. Ziel der TCM ist es, die Ursache für Krankheit und Unwohlsein aufzuspüren, und nicht ausschließlich die Symptome zu bekämpfen. So kann es also sein, dass ein Pferd, das Hustet, ein ursächliches Problem im Funktionskreis des Herzens hat. Bei einem anderen Pferd lässt sich der Husten auf eine Schwäche im Funktionskreis der Milz zurück führen.
Durch die Beziehung der Elemente oder Wandlungsphasen untereinander, setzt sich so ein Problem in einem Element fort. Das Element Feuer, zu dem der Funktionskreis des Herzens gehört, kann beispielsweise das nachfolgende Element Erde nicht ausreichend nähren. Dadurch wird als Folge dann auch das Element Metall, zu dem der Funktionskreis der Lunge gehört, geschwächt. Und ist die Schwäche in diesem Element angekommen, tritt der Husten auf. Würden wir nun ausschließlich den Funktionskreis der Lunge stärken, könnten wir dem Pferd nicht nachhaltig helfen. Aus diesem Grund rate ich auch immer, sich bewusst zu machen, welches Problem als allererstes aufgetreten ist. Denn oft ist hier die Ursache für einen aktuellen Zustand zu finden.
Aufgrund dieser Komplexität und Individualität im Krankheitsverlauf gelingt eine „Kochbuch-Therapie“ auch nur selten. Es gibt in der Akupunktur z.B. Standardpunkte, die man bei bestimmten Erkrankungen nadeln kann. Würden wir nun bei jedem hustenden Pferd ausschließlich Punkte im Funktionskreis der Lunge therapieren, hätten wir vielleicht einen kurzfristigen Erfolg, aber nach kurzer Zeit würde das Problem wieder auftreten, da wir die Ursache nicht behandelt haben.
Wie gehe ich nun vor, wenn ich ein Pferd nach TCM einschätzen möchte?
Dazu beschreibe ich euch mein Vorgehen, wenn ich ein Pferd zum ersten Mal behandel. Jeder Therapeut wird hier anders vorgehen. Ich möchte euch mit diesem Einblick nur ein paar Hinweise geben, wie ihr euer Pferd selber aus Sicht der TCM einschätzen könnt. Denn nur nach einer ausführlichen Diagnose kann eine erfolgreiche Behandlung erfolgen.
Zunächst einmal lasse ich den ersten Eindruck, den das Pferd auf mich macht, auf mich wirken. Ist das Pferd aufmerksam, mit wachem Blick und gespitzten Ohren? Oder wirkt das Pferd eher in sich gekehrt, hat vielleicht einen hängenden Kopf, einen schlurfenden Gang oder müde Augen? Nach diesem ersten Eindruck folgt die Palpation: ich taste den gesamten Körper einmal ab, um Unterschiede in der Temperatur der Hautoberfläche zu erfühlen, Schwellungen aufzuspüren und den Muskeltonus zu erfassen.
Erst danach beginne ich, die Diagnosepunkte der TCM zu untersuchen. Die sogenannten Shu-Punkte, die auf dem Blasen-Meridians liegen, geben mir Aufschluss darüber, in welchem Funktionskreis ein Ungleichgewicht vorliegt. Außerdem teste ich die sogenannten Ting-Punkte. Dabei handelt es sich um Anfangs- oder Endpunkte von Meridianen. Sie liegen entlang des Kronsaums. Und dann gibt es noch die sogenannten Mu-Punkte, also Alarmpunkte verschiedener Meridiane, die ebenfalls überprüft werden. Die Farbe der Schleimhäute, die Feuchtigkeit der Zunge und die Zungenbeschaffenheit an sich liefern mir ebenso Informationen wie die Puls-Qualität.
Die acht Leitkriterien der TCM
Nachdem ich alle Eindrücke gesammelt habe, kann ich das Pferd anhand der acht Leitkriterien einordnen. Zu diesen Leitkriterien gehören die Paare:
Yin und Yang
Innen und Außen
Fülle oder Mangel
Hitze oder Kälte
Im Bezug auf Yin und Yang schaue ich, ob bei dem Pferd eher die Eigenschaften des Yin oder des Yang überwiegen. Zum Yin gehört u.a. die Ruhe, die Weiblichkeit, die Kälte und die Feuchtigkeit. Zu Yang hingegen gehört die Aktivität, die Männlichkeit, die Wärme und die Trockenheit. Wichtig zu wissen ist, dass Yin und Yang nicht als Gegensätze zu betrachten sind, sondern als sich bedingende Kräfte: Es gibt kein Yin ohne Yang und umgekehrt.
Die Leitkriterien innen oder außen geben Aufschluss darüber, wie tief ein krankmachender, also pathogener Faktor, in den Körper eingedrungen ist. Während bei Außenmustern eher die Körperoberfläche, die Lunge, die Leitbahnen oder die Gelenke betroffen sind, zeigen bei Innen-Mustern die Organe Symptome. Außen-Muster verlaufen eher akut, während Innen-Muster bei chronischen Erkrankungen zu finden sind.
Ob sich ein Pferd in einer Fülle oder in einem Mangel befindet, entscheidet über die weitere Behandlung. Fülle-Erkrankungen sind meist akut und gehen mit Hitze-Symptomen einher, auf die ich gleich noch eingehen werde. Leere-Erkrankungen sind häufig chronisch. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Tiere, die mir vorgestellt werden, eher an Leere-Mustern leiden als an Fülle-Erkrankungen. Zu den Leere-Symptomen gehören zum Beispiel eine allgemeine Schwäche oder blasse Schleimhäute. Außerdem findet man bei Pferden mit Leere-Mustern keine Zungenbeläge.
Bei Pferden, die eindeutige Symptome eines Mangels zeigen, macht es durchaus Sinn, dass Qi, also die Energie zu stärken. Über die Fütterung lässt sich das Qi zum Beispiel durch die Gabe von Hafer steigern. Für getreideempfindliche Pferde eignet sich Grünhafer genauso gut. Bei kälteempfindlichen Pferden hilft tatsächlich die Verwendung einer Decke bei kalten Temperaturen. Außerdem sollte auf eine ausreichende Raufuttermenge geachtet werden und das Pferd sollte regelmäßige Erholungsphasen haben. Aus Sicht der TCM stärkt die Gabe von lauwarmem Futter das Qi ebenfalls.
Und die beiden letzten Leitkriterien, Hitze oder Kälte, geben Aufschluss darüber, ob wir dem Pferdekörper Wärme zuführen oder ausleiten müssen. Pferde mit Hitze-Symptomen sind vom Gemüt her eher hitzig und haben rötliche, eher trockene Schleimhäute. Außerdem sind bei ihnen weitere Trockenheitssymptome wie gesteigerter Durst, trockener Kot oder schuppige Haut zu finden. Zeigt Dein Pferd Hitze-Symptome, macht eine Fütterung kühlender Futtermittel durchaus Sinn. Dazu gehört zum Beispiel Weizenkleie, die die Darmtätigkeit anregt und bestehende Hitze kühlt. Pferde mit Kälte-Symptomen zeigen blasse, feuchte Schleimhäute. Sie setzen viel hellen Urin ab und haben einen eher breiigen Kot. Diese Pferde kann man gut mit wärmenden Futtermitteln unterstützen. Hierzu gehören zum Beispiel Ingwer, Fenchel oder Zimt. Außerdem kann das Eindecken dabei helfen, die bestehende Körperwärme zu halten und lauwarmes Mash das Qi stärken. Wenn das Qi stark ist, dann steigt auch die empfundene Körperwärme.
Abschließend gebe ich euch nun noch einen Überblick über die wichtigsten Punkte, mit denen ihr euer Pferd aus Sicht der TCM einschätzen könnt.
- Mit Hilfe der Typen-Bestimmung: Die TCM unterscheidet 5 verschiedene Pferdetypen. Wenn euch diese Einteilung interessiert, empfehle ich euch entweder, die verlinkten Blog-Artikel* zu lesen oder aber das freeBook Pferdetypen in der TCM. Dieses erhaltet ihr als Dankeschön für eure Newsletter-Anmeldung.
- Die Gesamterscheinung eures Pferdes: Wirkt es wach und aufmerksam oder müde und in sich gekehrt?
- Die 8 Leitkriterien: Beobachtet euer Pferd und schaut euch die genannten Punkte an. Tastet seinen Körper ab und notiert euch, wo ihr Auffälligkeiten findet. Betrachtet die Schleimhäute und auch die Ausscheidungen eures Pferdes.
- Eure Intuition: Mit etwas Hintergrundwissen kann man sich auch auf seine Intuition verlassen. Folgt eurem Bauchgefühl, wenn es darum geht, euer Pferd einzuschätzen und zu entscheiden, was ihm guttun würde.
* Hier geht es zu den Artikeln über den Leber-Typen, den Herz-Typen, den Milz-Typen, den Lungen-Typen und den Nieren-Typen.
Wenn ihr mehr darüber erfahren möchtet, wie ihr euer Pferd aus Sicht der TCM einschätzen und unterstützen könnt, schaut euch meinen Selbstlernkurs "TCM für Dein Pferd" an. Darin erhaltet ihr Hintergrundwissen und Tipps zu einer typgerechten Akupressur und Fütterung.
Auf meinem YouTube-Kanal erhaltet ihr weitere Tipps über die TCM und zu einer gesunden Pferdefütterung.